Nach Säntis Classic und L’Alasacienne stand in 2018 der Engadin Radmarathon als (vorläufig) letzte Radveranstaltung am 08. Juli in meinem Kalender. Und da ich die Veranstaltung noch nie gefahren bin, diese super attraktiv klang und dazu auch in wenigen Autostunden vom Bodensee zu erreichen ist, habe ich mich bereits im Frühjahr zur Kurzdistanz über 97 Kilometer angemeldet.

Die Strecken

Beim Engadin Radmarathon können zwei Strecken gefahren werden. Die Kurzdistanz über 97 Kilometer mit 1.367 Höhenmeter über (einen Teil des) Ofenpass, Forcola di Livignio und Berninapass oder die Langdistanz über 214 Kilometern mit 3.889 Höhenmetern und dem Fluela- plus Albulapass dazu.

Beide Strecken werden in Zernez zeitgleich gestartet und verlaufen bis Zernez, für das Ziel der Kurzstrecke zusammen. Die Fahrer der Langdistanz fahren danach von hier aus nochmals weiter eine Schleife über obige Pässe und Davos und haben die Strecke von La Punt bis Zernez somit zwei mal in den Beinen.

Landschaftlich gehören die Strecken zu den schönsten und attraktivsten in der Ostschweiz! Die Pässe lassen jedes Radlerherz höher schlagen und die Durchfahrt von Livignio und Engadin begeistern. Weiterhin hat man mit der Durchfahrt des Munt la Schera Tunnel ins zollfreie Tal von Livignio die Chance 3 Rennkilometer „unter Tage“ zu fahren.

Die Veranstaltung

Neben dem Rennen bietet der Engadin Radmarathon einiges an Programm vor, während und nach dem Rennstart. So können im Vorfeld Trainingsausfahrten absolviert werden, falls man mit Familie oder Kindern vor Ort ist gibt es eine Kinderbetreuung und das Start-/Zielgelände bietet allerlei für das leiblich Wohl.

Besonders gefallen hat mir die räumliche Nähe und Kompaktheit des Veranstaltungsortes. Zernez ist nicht sehr groß und so ist alles sehr nah rund um den Start-/Zielbereich angelegt. Außerdem, und das ist ehrlich gemeint, hat der Veranstalter das Ganze sehr liebevoll aufgezogen. Super Orga!

Das Rennen

Gestartet wurde um 07:00 Uhr mitten in Zernez. Ich habe mit unserem Campingbus auf dem nahen Parkplatz geschlafen (die Nacht war etwas unruhig, da kalt) und war daher recht entspannt zum Startblock No. 4. Die morgendliche Frische mit knapp 7° war nicht gerade angenehm und das Starterfeld schlotterte gemeinsam bis es dann los ging.

Typisch für ein Bergrennen war der Start nicht von Highspeed-Fahrern geprägt, die sofort lospreschen sondern verlief recht entspannt und geordnet. Ich mag das, denn hektisch wird es später noch genug.

Wenige Meter hinter dem Ortsausgang von Zernez beginnt der Anstieg zum Ofenpass, der gleich mit 8-10% Steigung seine Zähne zeigt. Da das Feld hier noch sehr kompakt war musste man sich seinen Weg durch schnelle und langsame Fahrer suchen. Schade, dass hier manche Radler der langsamen Sorte gerne auf der linken anstatt rechten Seite fahren.

Der Ofenpass steigt bis auf eine kleine Gegensteigung kurz vor dem Munt la Schera Tunnel sehr kontinuierlich mit 8-10% an und lässt sich trotz kalter Muskeln gut fahren und das Feld ordnete sich immer mehr. Den Tunnel erreichten wir bereits mit einem lang gestreckten Fahrerfeld, das sich dann wie auf einer Perlenkette aufgezogen in den Tunnel bewegte.

Diese Durchfahrt ist sicherlich einmalig für ein Radrennen. Der Tunnel ist nicht mehr als 3-4m breit, recht niedrig und schummrig beleuchtet (Eine separate Radbeleuchtung ist nicht notwendig aber empfehlenswert). Die 3 Kilometer im Tunnel sind einerseits beeindruckend, da man ja durch den Berg hindurch fährt, was ich so noch nie erlebte. Andererseits aber auch höllisch gefährlich! 30 Km/h und mehr mit wenigen Zentimetern Abstand zum Vordermann und schlechten Lichtverhältnissen sind nur mit höchster Konzentration zu bewältigen. Einen Sturz mag ich mir hier nicht vorstellen! Zum Glück sind wir aber ohne Zwischenfälle gut durchgekommen.

Am anderen Ende des Tunnels empfängt einen das Tageslicht und das Rennen wechselt von Berg- zu normalem Straßenrennen. Da die nächsten Kilometer nach Livignio nahe zu flach sind bildete sich schnell eine lange Kette an Rennradlern die sich alle im Windschatten des Vordermanns hielten. Ich hatte -gefühlt- einen besonders schnellen Zug erwischt, was vielleicht an dem (oder zumindest) einem Tony Rominger lag hinter dem ich mich einreihte -so stand der Name zumindest auf seiner Starternummer und das Alter hätte auch passen können. Wer weiß, vielleicht bin ich ja tatsächlich hinter dem Alt-Star der Schweizer Rennrad-Szenen gefahren!

Das Teilstück bis zur ersten Verpflegungsstation schafften wir mit einem 38-er Schnitt, nicht schlecht! Ab hier jedoch stieg die Straße wieder an, die Gruppe zerfiel und der Anstieg zum Forcola di Livignio begann. Dieser Pass überwindet auf 11 Kilometern Länge knapp 450 Höhenmeter und lässt sich recht gut fahren. Die ersten 4 Kilometer waren zahm mit kontinuierlich unter 6% und erst im letzten Drittel steigt die Straße auf 7-8% Steigung an. Ich versuchte meinen Tony Rominger immer vor mir zu halten, was bis zum letzten Kilometer auch gelang, dann ließ ich etwas abreißen.
Auf dem Pass hat mich dann fast noch ein Rennradler umgefahren, da er einfach so mal links ranfahren wollte. Wann lernt ihr es, dass man bei so einer Veranstaltung nicht einfach auf dem Pass stehen bleibt!

Die kurze Abfahrt zwischen Forcola und Anstieg zum Bernina war rasend schnell. Top-Speed: 81 Km/h! Leider forderte es hier auch den ersten Verletzten, der bereits von Sanitätern am Straßenrand betreut wurde. Am liebsten hätte ich das all den völlig verrückten Rasern gesagt: es lohnt sich nicht wegen einem Jedermann-Rennen sein Leben zu riskieren. Zum Glück sind wir aber heil unten angekommen.

Der Berinapass warf sich uns dann ziemlich unvermittelt in den Weg und ich spürte das erste Mal heute meine Beine. So richtig gut waren die ersten Meter nicht zu fahren und ich war froh, dass es lediglich 4 Kilometer bis zur Passhöhe waren. Das Fahrerfeld war bereits weit auseinander gezogen und ich hoffte, dass ich auf der Abfahrt eine passende Gruppe für die Engadin-Durchfahrt erwischen werde.

Wenige Kilometer unterhalb des Passes auf Höhe der Lagalp-Seilbahnstation war die nächste Verpflegungsstelle. Kurz angehalten, Wasser aufgefüllt und ein paar Brötchen gegriffen. Und da dann plötzlich eine passende Gruppe vorbeikam mussten die Brötchen im Fahren gegessen werden. Passt!

Abfahrt vom Flüelapass Richtung Davos

Da ich wusste, dass die letzten 30 Kilometer im Engadin flacher werden, blieb ich an dieser Gruppe dran. Teilweise war ich froh darüber, teilweise bereute ich das. Denn diese Gruppe gehörte leider zur Gattung der sehr risikobereiten Fahrern. Die Straße zum Berninapass war bereits stark befahren und dennoch wurden Kurven geschnitten oder waghalsig überholt, ganz zu schweigen von den beiden zu querenden Schienenverläufen der Berninabahn.

Heilfroh an einem Stück in Pondresina angekommen zu sein traf das zu, was ich zuvor erwartet hatte: Ein fast klassischer Verlauf eines Straßenrennens! Schnell zog sich die Gruppe auseinander und wir rasten mit 40 teilweise 50 Sachen auf der Geraden dahin. Immer ein Auge auf das Vorderrad, das andere auf die Gruppe vor mir versuchte ich den Anschluss nicht zu verlieren. Klappte dann aber doch ganz gut und musste auch, hinter uns war lange Zeit nichts zu sehen.

Kompakt in dieser Gruppe und in wechselnder Abfolge erreichten wir nach 97 Kilometern dann ohne Zwischenfälle Zernez. Der kleinere Teil der Gruppe zog weiter zum Fluelapass und der langen Strecke, für mich war jedoch heute hier Schluss. Mein Ergebnis mit 3:21:28 Stunden und einem 28,51 Km/h Schnitt geht total klar für mich. Alles unter 4 Stunden war mein Ziel! Platz 64 von 127 in meiner Altersklasse und 238 von 513 bei allen Männern freut mich.

Ein paar Tipps

  • Zwiebelschalen-Look ist sinnvoll. Am Morgen waren es 7° Celsius, in der Sonne dann schnell über 20° und auf den Abfahrten wurde es dann vom Wind wieder kalt. Armlinge und Weste sind angebracht um nicht auszukühlen.
  • Die endgültige Strecke könnt ihr bei der ersten Zieleinfahrt am Ende der Kurzdistanz wählen. Egal für was ihr euch gemeldet habt, ein Wechsel von kurz zu lang oder auch andersrum ist bis zu diesem Zeitpunkt noch möglich. Bin am nächsten Tag noch Flüela- und Albulapass (separat) gefahren und kann nur sagen, dass die Langdistanz eine echte Challange ist!
  • Übernachtungsmöglichkeiten gibt es in Zernez und allgemein im Engadin genug. Wer mit dem Camper kommt kann eine Nacht ohne Probleme auf dem Parkplatz vor dem Veranstaltungsgelände stehen. Das geht sonst in der Schweiz nicht und wird mit hohen Strafen (> 200 CHF) geandet.